Eine Frage der Perspektive

Aus der Geborgenheit des Heimes hinauszuschauen in die Unwägbarkeiten der Außenwelt hinter der Haustür – das ermöglicht der Türspion und macht sich damit bei vielen Menschen beliebt und unentbehrlich. Er bietet nicht nur einen zielgerichteten Blick auf die Position genau vor der Tür, sondern dank der Weitwinkel-Technik je nach Wunsch einen Rundumblick von bis zu 200o durch den zu erkundenden Raum. Ein Blick durch den Spion zeigt, was uns erwartet, was sich tut und verändert da draußen vor der Tür.

Diese Technik nutzt Dorothea Feldkamp für ihre Spionoptika, kleine bis mittelgroße bisweilen kunstvoll verzierte Gehäuse aller Art und Provenienz, die nur durch eben diese Türspione einsehbar sind und für die Dauer des Entdeckungsaktes mithilfe eines außen angebrachten Knopfschalters beleuchtet werden können. Sie schaut also von draußen nach drinnen, kehrt die Blickrichtung um und verändert so auch den Sinn dieses Schauens.

Tatsächlich gewährt der Blick in ein Spionoptikum der Künstlerin Einsicht in einen – so scheint es – intimen, sonst verborgenen kleinen Raum. Von dem aktuellen, stets sich verändernden und erneuernden Jetzt wird das Auge auf ein Arrangement aus Bestehendem, Vergangenem, Erinnerndem gelenkt: Kleine Zahnräder und Gehäuse von Uhren verweisen auf den Lauf der Zeit, Knochen von Kleinlebewesen, Mammutstoßzahn und vertrocknete Rosen sprechen von Vergängnis und Tod, Engel und vereinzelte Flügel, Meerjungfrauen und Perlen, die aus Muscheln blitzen, schenken Hoffnung, stimmen nachdenklich, erzählen ungewöhnliche, nicht selten traurige Geschichten.

Es sind Dorothea Feldkamps Geschichten – Erinnerungen an prägende Ereignisse, an Personen aus Gegenwart und Vergangenheit, ein sichtbar Machen von Gedanken, Gefühlen, Leidenschaft.

In sorgfältiger Arbeit und mit großer Liebe zum Detail erstellt sie Kulissen, die erst beim Schauen durch den Türspion und der damit verbundenen Veränderung von Maßstab und Perspektive zu dem Bild werden, das sie zeigen möchte. Erst dann fügen sich die Elemente zu einer Einheit, bekommen die verwendeten Stücke eine neue Wertigkeit oder gar Bedeutung. Wie auf einer Bühne oder in einem eigenen, in sich geschlossenen Raum präsentieren sich Ensembles und entwickeln sich Szenen.

Dabei behandelt Dorothea Feldkamp jedes Thema, jedes Teil der Gesamtdarstellung und auch jedes Behältnis ihrer gestalteten Geschichten als Kostbarkeit. Sie inszeniert besondere Einzelstücke wie eine Münze mit dem Abbild der Nofretete, ein gläsernes Arzneifläschchen, medizinisches Nahtmaterial aus dem 1. Weltkrieg, ein Kruzifix sowie Schmuckstücke und Fragmente, die aus ihrer Hand als gelernte Goldschmiedin stammen und nicht nur die Lichtschalter an der Außenhaut des Kunstwerkes zieren. Sie nutzt Durchblicke, diaphane Strukturen und Lichteffekte, platziert gekonnt Hinweise und Pointen. Und plötzlich werden Fund- und Erinnerungsstücke, Bruchstücke und wertlos scheinende Teilchen zu einem harmonischen Ganzen, zu einer Welt für sich, zu einer für die Künstlerin wichtigen Einsicht, die jedoch auch von der interessierten Allgemeinheit betrachtet und erforscht werden darf.

Die ungewöhnlichen und spannungsreichen Kompositionen im Innern der kunstvollen Gefäße fordern zum Schauen und Suchen auf, provozieren Fragen und Nachdenken. Häufig genug gibt das Gesehene dem Verstand Rätsel auf und beansprucht Raum für eigene weiterführende Gedanken. Nicht nur technisch gesehen, sondern auch inhaltlich sind die Spionoptika von Dorothea Feldkamp also immer eine Frage der Perspektive.

Dr. Alexandra Sucrow